Rezension zu:

Abt-Zegelin, Angelika; Schnell, Martin W. (Herausgeber): Sprache und Pflege, 2., vollständig überarbeitete und aktualisierte Auflage, Bern 2005.

Schlüsselbegriffe

Kommunikation, Sprache, Sprechhandlung

Zielgruppe

Pflegende, Pflegepädagoginnen, Pflegewissenschaftlerinnen

Der Philosoph Ludwig Wittgenstein hat den Satz geprägt: „Die Grenze deiner Sprache ist die Grenze deiner Welt.“ Er bringt damit die Einsicht zum Ausdruck, dass wir erst als sprechende Wesen erkennende Wesen im eigentlichen Sinne werden. Mit zunehmender Ausdrucksfähigkeit vergrößert sich unsere Welt und damit unsere Handlungsoptionen. Je geringer auf der anderen Seite die Sprachkompetenz ausgeprägt ist, desto enger und undifferenzierter wird der Horizont. Als die Indios die ersten Spanier ankommen sahen, hatten sie keine Sprache für die Segelschiffe und Rüstungen der Spanier. Sie konnten dementsprechend nicht wissen, was da auf sie zukommt – und schätzten die Gefahr völlig falsch ein. Wenn ein Patient Schmerzen im Bauchbereich spürt, so fehlt ihm in der Regel das Wissen exakt zu bestimmen, was genau weh tut – selbst die Lokalisierung kann mitunter extrem ungenau sein. Nicht, weil der Patient den Schmerz nicht genau spürt, sondern weil ihm die Worte fehlen, um präzise Angaben machen zu können.

Gerade in einem so sensiblen Bereich wie der Pflege ist eine ausgeprägte Sprachfähigkeit essenziell. Pflegende müssen im Umgang mit Patienten deren Äußerungen verstehen und professionell präzisieren können, um handlungsfähig zu sein. Das Ergreifen der richtigen Pflegemaßnahme setzt voraus, dass die Situation richtig erkannt und benannt werden kann. Die Pflegekraft muß ebenso dazu in der Lage sein, fachliches Wissen in Beratungsgesprächen patientengerecht zu übersetzen. Auf der anderen Seite fungiert sie auch als Übersetzering gegenüber den ärztlichen Kollegen.

Diese hier nur angedeuteten Themenkomplexe werden in dem Reader „Sprache und Pflege“, den Angelika Abt-Zegelin zusammen mit Martin W. Schnell herausgegeben hat, ausführlich behandelt. In angenehm kurzen Aufsätzen (jeweils ca. 6 Seiten), die teilweise auch philosophische Grundlagen der Sprachphilosophie heranziehen, wird der Zusammenhang von Sprache und Pflege ausgeleuchtet und den Lesern anschaulich vor Augen geführt. Ein Beispiel soll an dieser Stelle genügen: Martin W. Schnell geht in seinem Text „Sprechen – warum und wie?“ auf die evidenzbasierte Pflege (EBN) ein. Ziel des EBN ist es, das aktuell beste verfügbare Wissen in der Praxis anzuwenden. Dieses Wissen nun ist sprachlich formuliert und verlangt zur produktiven Aufnahme entsprechende Kompetenzen der Pflegekraft. Auf der anderen Seite steht die Pflegekraft, die als Pflegeexpertin über implizites Wissen verfügt, das allerdings meist nicht explizit formuliert ist. Es droht durch das EBN überformt zu werden, wenn nicht versucht wird, es explizit und damit im Sinne des EBN verfügbar zu machen. Das nennt Schnell „Zur-Sprache-Kommen der Pflege“, die sich in Dokumentationen im narrativen Stil niederschlagen kann.

Der Band geht zurück auf ein gleichnamiges Buch, das 1997 ebenfalls von der jetzigen Herausgeberin herausgegeben wurde. Allerdings versammelt das vorliegende Werk hauptsächlich neue Beiträge, die an den gegenwärtigen Diskurs anknüpfen.

Folgende Themen werden behandelt:

-          Das Zur-Sprache-Kommen der Pflege

-          Pflege als und in der Sprache

-          Pflege nach der Sprache

-          Pflege in Begriffen und Bezeichnungen

-          Sprache und Kultur

-          Sprache und Pflege

Insgesamt vermittelt „Sprache und Pflege“ einen guten und den Leser anregenden Überblick über den wichtigen Zusammenhang von Sprache und Pflege. Der Band ist Pflegepädagogen und Pflegewissenschaftlern zu empfehlen.

Rezension von: Holger Rohde

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