Rezension zu:

Neulist, Annette/Moll, Wolfgang: Die Jugend alter Menschen. Gesprächsanregungen für die Altenpflege, München 2005, ISBN 3-437-27380-9, 248 Seiten.

Verlag: Elsevier.

Preis: € 25,-.

Schlüsselbegriffe:

Seniorenarbeit, Biografiearbeit, altersgerechter und der Persönlichkeit entsprechender Umgang mit älteren Menschen, Geschichte, Gesprächsanregungen

Zielgruppe:

Pflegende, Auszubildende, Angehörige, Besuchsdienste

Das Wichtigste in Kürze:

Der Blick in die Lebenswelt älterer Menschen wird leichter, wenn der Gesprächspartner über ein gewisses Vorwissen verfügt und entsprechend nachfragen kann. „Die Jugend alter Menschen“ blickt zurück darauf, wodurch alte Menschen in ihrer Kindheit und Jugend geprägt wurden. Ein Buch mit historischen Hintergründen, persönlichen Erfahrungen und Anregungen zur Einbeziehung der persönlichen oder der kulturellen Geschichte in den Kontakt mit Pflegebedürftigen, älteren Verwandten oder Bekannten oder auch in der Biografiearbeit.

Besprechung:

Junge Menschen profitieren von den Erfahrungen der älteren Generationen. „Die Alten haben uns allen etwas voraus. Sie sind so jung gewesen wie wir heute, aber wir waren noch nie so alt. Daher haben sie neben unserer Fürsorge auch Respekt verdient.“ (6) Auch wenn die Lebenserwartung der Menschen in Deutschland ständig steigt, gehen die Erinnerungen älterer Generationen im Laufe der Zeit verloren. Mündlich übertragene Historie wird meist nur über zwei Generationen weitergegeben.

Werden Erinnerungen miteinander geteilt, ist die Art und Weise, in der über die Erfahrungen kommuniziert wird, entscheidend. Im Gespräch mit älteren Menschen, deren Gedächtnisleistung beispielsweise etwas verzögert ist, braucht es mehr Geduld, Toleranz und Anregung zur Fortführung des Gespräches. So können die Jüngeren von den Älteren lernen und die Älteren haben die Chance auf eine gelungene Kommunikation. Die Gesprächspartner berichten von ihren Erlebnissen und Erfahrungen und erfahren, dass es wichtig ist, was sie zu sagen haben. Die mitgeteilten Erlebnisse und Erfahrungen sind teils mit starken Emotionen verbunden, weshalb ein sensibler bzw. angemessener Umgang mit dem Erzählten wichtig ist. So manche Dinge wirken aus der Sicht der heutigen Zeit evtl. seltsam oder auch verurteilungswürdig. Dass jedes Verhalten und jede Entscheidung in einem bestimmten Kontext steht, macht das Wissen um diesen Kontext erforderlich. In einer leicht verständlichen, teilweise fast umgangssprachlichen Art und Weise haben die Autoren geschichtliche Daten und Erfahrungen von Zeitzeugen zusammengefasst. Dem Leser wird eine Nähe zur Erlebniswelt der Menschen vermittelt, die so aus Geschichtsbüchern nicht unbedingt erschlossen werden kann. Die Auswahl im Sinne der Übersichtlichkeit bringt fast notwendigerweise Lücken mit sich, die u. a. im Gespräch mit den älteren Menschen mit Leben gefüllt werden können.

Das Besondere im direkten Umgang von Mensch zu Mensch ist im Vergleich zum Blick in ein Geschichtsbuch, dass Emotionen und persönliche Erlebnisse nirgendwo und zu keiner anderen Zeit so vermittelt werden, wie zu diesem Zeitpunkt. Deshalb gilt es zuzuhören zu lernen: „Hören Sie den alten Menschen zu. Sie haben vieles zu erzählen, denn mit ihnen wird ein Teil der deutschen Geschichte sterben.“ (5) Ein zugewandtes und aktives Zuhören ermöglicht eine wahrnehmende Beobachtung, die weniger auf bereits verstehenden Urteilen basiert, und den Menschen als solches wahrnimmt – auch wenn er von moralisch schwierigen Momenten und Verhaltensweisen erzählt. So werden durch die Wahrnehmung von Emotionen und nonverbalen Äußerungen Gefühle und Sehnsüchte spürbar. Einen hilfreichen Hinweis zu einer möglichst unvoreingenommenen Wahrnehmung geben die Autoren, wenn sie anmerken, dass sprachliche Ausdrücke nicht für alle Menschen mit der gleichen Bedeutung besetzt sind. Um Missverständnisse zu vermeiden gilt es deshalb nachzufragen.

Die einzelnen Kapitel sind nach folgenden Aspekten strukturiert: individuelles Erleben, Zeitgeschichte (historische Daten, durch Zeitzeugen ergänzt), Fragen zum Textverständnis und historisch angelegte Gesprächsanregungen, die durch die Leser erweitert werden können. Inhaltlich einbezogen werden vorrangig Kultur, Politik und Wirtschaft.

Die Wahl einer auffallend großen Schrifttype ermöglicht zwar einerseits, dass den Älteren selbst ein Blick in das Buch zu einer Erinnerungsarbeit verhelfen könnte, irritiert allerdings andererseits den professionellen Nutzer. Durch Bilder und Portraits wird das Gesagte zusätzlich mit Leben gefüllt. Abgerundet wird das Werk durch ein ausführliches Glossar, ein paar Filmempfehlungen (teilweise mit Einsatzvermerk) und weiterführende Literatur.

Ob als Lesebuch oder für das Nachschlagen zu bestimmten Epochen: das Buch gibt reichlich Anregungen und Einblicke in die Historie. Es hilft eventuell Hemmschwellen zu überwinden und auch scheinbar schwierige Themen anzusprechen.

Gesamteindruck:

Das Buch ermöglicht einen notwendigen und lesenswerten Blick in die deutsche Geschichte für Menschen, die mit alten Menschen umgehen und sich für deren Lebenswelt interessieren. Es unterstützt einen interessierten und verständnisvollen Umgang mit den Erinnerungen, die ältere Menschen äußern, oder dessen Bedeutung gerade durch ihr Nichtäußern spürbar wird. Anregungen zum Gesprächseinstieg bieten beispielsweise die persönlichen Erinnerungen und Erzählungen von Zeitzeugen.

Aus dem Inhaltsverzeichnis:

  1. Kindheit und Jugendzeit der Alten 1918-1933
  2. Deutschland in der Nazizeit 1933-1939
  3. Der zweite Weltkrieg 1939-1945
  4. Nachkriegszeit
  5. Deutschland im Wiederaufbau
  6. Ein Volk in zwei Ländern
  7. Von gestern nach heute

Rezension von: Karo

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